Verlassen und zerfallen in Georgien – Teil 3

Eine Station gab es noch auf meiner Lost-Place Tour in Georgien: Tchiatura. Dabei handelt es sich um eine Bergarbeiter-Stadt, in der schon seit Ende des 19. Jahrhunderts hauptsächlich Manganerze abgebaut wurden. Genaugenommen wollte ich die für Tchiatura typischen „fliegenden Särge“ bestaunen.

Die Stadt liegt in einem sehr engen Tal mit recht steilen Hängen zu beiden Seiten. Viele der Mienen liegen oberhalb des Stadtzentrums, auch einige der Bergarbeiter-Siedlungen liegen an den Talhängen veteilt. Um diese Orte effizienter zu erreichen, wurden zu Sowjetzeiten unter Stalin zahlreiche Seilbahnen errichtet. Linien zur Personenbeförderung, aber auch Linien zum Transport des abgebauten Erzes.

Stillgelegte Personen-Seilbahnen in Tchiatura.

Erstaunlicher Weise waren einige der Personenseilbahnen noch bis 2019 im Betrieb und zwar so wie schon in den 1950ern – keine Upgrades. Ich war leider ein paar Jahre zu spät da, um diese technischen Meisterwerke noch im Betrieb zu bestaunen. Aber heute hängen noch einige der Gondeln an den Stahlseilen, manche der Stationen sind sogar für wagemutige Erkundungsgänge zugänglich. Die Gondeln sehen schon ziemlich speziell aus: Metallkästen mit kleinen Bullaugenfenstern. Sie wirken wahrlich wie aus einer anderen Zeit, könnten aber auch gut das Produkt eines Steam-Punk Künstlers sein. Kein Wunder, dass diese Kisten auch als „fliegenden Särge“ bezeichnet werden.

Diese Anlagen werden tatsächlich noch genutz.

Von den Erzbahnen sind einige noch in Betrieb – dort wo diese die Straße im Tal überqueren sind löchrige Netze gespannt, als Schutz vor herabfallendem Gestein. Vertrauenswürdig sieht das allerdings nicht aus und würde deutschen Sicherheitsvorschriften wohl definitiv nicht genügen.

Alt und neu Tschiatura.

Nach Zerfall sehen jedoch nicht nur die alten Seilbahnen aus, fast ganz Tchiatura scheint vor sich hin zu marodieren. Dabei ist die Stadt keinesfalls ausgestorben, es sind ja auch noch einige Mienen in Betrieb. Und auch in vielen der Industie-Bauten zur Erzaufbereitung wird noch gearbeitet. Man kommt sich halt einfach nur wie in einem Film aus Sowjet-Zeiten vor. Einziger und absolut krasser Kontrast hierzu sind die extrem modernen, seit 2021 in Betrieb genommenen vier neuen Seilbahnlinien. Sie starten alle von einem großen Terminal im Stadtzentrum in verschiedene Richtungen. Schon allein die Stationen wirken äußerst futuristisch und enthalten alle verschiedene künstlerische Elemente. Ich habe es mir natürlich nicht nehmen lassen und bin auf allen Linien einmal mitgefahren – sie werden definitiv als Verkehrsmittel in der Stadt genutzt. Ob die Millionen dafür nicht vielleicht an anderen Stellen in der Stadt besser aufgehoben wären, ist eine andere Geschichte. Mit den 50 Cent Fahrscheinen wird diese Investition vermutlich nicht wieder eingespielt.


Reisezeit: Juli 2022

Kommentare

4 Antworten zu „Verlassen und zerfallen in Georgien – Teil 3“

  1. Benutzer Icon
    Andreas

    Sehr beeindruckend.
    Ich finde den Vergleich mit Endzeitspielen sehr passend.
    Umso krasser der Kontrast zu den neuen Bahnen. Ich weiß nicht ob ich mich in die alten Gondeln getraut hätte.

    1. Benutzer Icon

      Ach wenn die seit 70 Jahren einfach ihren Dienst tun, warum sollen sie dann auf einmal vom Himmel fallen? Ich war schon ein klein wenig traurig nicht mehr mitfahren zu können.

      1. Benutzer Icon
        Andreas

        Gibt es dort eigentlich TÜV?
        Ich stelle mit gerade vor ich würde mit einem alten Opel Manta zur Kontrolle gehen und sagen der tut seit 70 Jahren seinen Dienst das passt schon.
        😉

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          Bei den Karren die da rumfahren kann ich mir nicht vorstellen, dass es da eine ernst zu nehmende Kontrolle gibt.

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