Albanien – ein Kulturschock

Was wusste ich über Albanien vor dieser Reise?

Wo es sich ungefähr befindet. Dass es als Armenhaus von Europa gilt, kein Mitglied der Europäischen Union ist und dort noch Eselskarren durch die Gegend fahren. Dass Albaner vor ein paar Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Und dass sich Albanien für Wanderer auf Grund seiner wunderschönen Gebirge wohl lohnen muss.

Ziemlich wenig genau genommen. Klar habe ich mal hier und da eine Dokumentation gesehen oder Reiseberichte, doch wirklich hängen geblieben ist oberflächlich nur dies. Und was sagen gerade diese „Fakten“ aus?

Ich habe dieses Land mittlerweile schon seit eineinhalb Monaten wieder verlassen und trotzdem beschäftigt es mich noch immer. Es war für mich das bisher interessanteste Land auf dieser Reise. In diesem Artikel geht es erst mal mit ein paar simplen Beobachtungen aus diesem Land los. Es wird noch ein paar weitere, tiefer gehende Beiträge zu einzelnen Themen und Hintergründen geben.

Die ersten Meter in Albanien

Herzlich willkommen in Albanien!

Mit dem Grenzübertritt von Montenegro nach Albanien war ich scheinbar in einer anderen Welt gelandet. Solch krasse Kontraste gab es schon lange nicht mehr bei einem Länderwechsel. Meine ersten Eindrücke waren geprägt von Chaos, Improvisation, Gewimmel und Freundlichkeit. Schon gleich ein paar Meter hinter der Grenze fiel mir jede Menge Müll auf, der da überall rum lag. Viele der Gebäude schienen ganz schön in die Jahre gekommen zu sein, waren irgendwie geflickt oder stückchenweise mit dem was gerade da war ergänzt worden. Über Gartenzäunen oder auf vor Fenstern gespannten Leinen trocknete Wäsche. Dazu ein unglaublicher Kabeldschungel an den Strommasten. Es sah irgendwie lotterig aus. Viele der mir entgegenkommenden Autos hatten Dellen, es waren aber auch viele Motorräder oder zu Dreirädern umgebaute Motorräder unterwegs. Und es gab ungewöhnlich viele Fahrradfahrer. Tatsächlich Menschen die ihre alltäglichen Wege mit dem Fahrrad zu bewältigen schienen – das hatte ich schon lange nicht mehr gesehen. Aus der Landschaft stachen immer wieder Minarette von Moscheen hervor, wobei aber auch überall kleine Kirchen bzw. Kapellen zu sehen waren. Viele der mir entgegenkommenden Menschen grüßten mich, hupten oder lächelten zumindest, besondere Aufmerksamkeit gab es von den Kindern. Was für ein freundliches Land!

Eindrücke der ersten Kilometer.

Die Metropole Shkodër überschwemmt mich mit Eindrücken

Die Fahrräder beschränkten sich allerdings nur auf die Stadt Shkodër und deren unmittelbare Umgebung – hier bin ich praktisch nach dem Grenzübertritt als erstes gelandet. Eine Stadt die mich erst mal ganz schön ins Staunen gebracht hat. Shkodër ist die fünftgrößte Stadt Albaniens und befindet sich am Südufer des nach ihr benannten Skutarisees – dieser heißt nämlich auch Shkodër See. Ich musste in die Stadt, um mich am Geldautomaten mit albanischen LEK und in einem Vodafone-Laden mit einer Sim-Karte zu versorgen. Dabei kam ich unweigerlich in den „Genuss“ des absolut chaotischen Verkehrs. Richtig chaotisch – Verkehrsregeln schien es nicht wirklich zu geben, wer anhalten wollte blieb mit seinem Gefährt einfach stehen, ganz egal ob zweite Reihe oder nicht. Es herrschte dichtes Gedränge, wer wann fahren durfte war mir nicht ersichtlich. Aber irgendwie schien es trotzdem zu funktionieren. Und was da alles für Gefährte in Shkodër unterwegs waren, da wurde der alte Mann mit seinem Pferdekarren von einem glänzenden Mercedes SUV überholt – mitten in der Großstadt. Und jede Menge Fahrradfahrer, die gern auch mal entgegen der Fahrbahn unterwegs waren.

Unterwegs in Shkodër.

Die Wohnviertel abseits der großen Hauptstraße wirkten einfach nur dreckig und äußerst ungemütlich. Alles war dicht aufeinander gedrängt, es reihte sich eine Autowerkstatt an die nächste, überall wurde fleißig geschraubt. Auf der großen Hauptverkehrsstraße befand sich dagegen ein Geschäft an dem anderen. Und ganz egal wie groß das Geschäft war, wie viel Platz es auch haben mochte – der Fußweg wurde immer mit den Waren voll gestellt. Hauptsache es steht gefühlt alles draußen. Auch bei den Geschäften die sich um den Verkauf von Waschmaschinen und Kühlschränken kümmerten, dem Klempnerbedarf, dem Ofenhändler. Ganz egal ob das alles jeden Tag rein und raus geräumt werden muss. Die Straße war ein riesiger Markt. Dazwischen waren auch improvisierte Stände, sehr verbraucht aussehende Menschen boten dort verschiedenste Waren an. Ein älterer Herr ist mir dabei noch in Erinnerung – er hatte zahlreiche albanische Langhalslauten (sogenannte Çiftelia) im Angebot. Er gab gerade eine grandiose Kostprobe auf einem dieses mit zwei Saiten bespannten Instruments – ich hätte stundenlang zuhören können. Oder da war der Fischhändler: Ich besichtigte gerade mit einer anderen Radreisenden die Stadt und als dieser Händler mit bekam, dass sie Italienerin ist, drückte er uns beiden seine nassen fischigen Hände in die unseren und wollte uns fast nicht mehr gehen lassen, so viel hatte er zu erzählen. Oder die Albanerin, die einst für ein paar Jahre als Flüchtling in Düsseldorf lebte und nun mangels Auskommen in Deutschland wieder zurück war, auf der Straße Klamotten aus zweiter Hand für absolut lächerliche Preise verkaufte und sich freute mit mir Deutsch sprechen zu können.

Unweit der großen Moschee gab es aber auch eine recht nobel wirkende Gegend. Diese schien regelrecht gepflegt, es gab schicke Restaurants sowie Cafés und davor parkten glänzende teure Autos. Was für ein Kontrast zwischen Arm und Reich. Und was für ein Kontrast zu unserem Leben in Deutschland – ich war tief beeindruckt ob der ärmlichen Verhältnisse die an diesem Tag auf mich einprasselten.

Weitere Beobachtungen

Insgesamt war ich drei Wochen in Albanien. In dieser Zeit konnte ich noch jede Menge weitere, für dieses Land scheinbar typische Dinge beobachten. Zum Beispiel, dass sich im ganzen Land Ruinen alter Bunker aus der Kommunistischen Zeit finden lassen. Schon direkt hinter der Grenze geht es mit kleinen von oben halbkugelförmigen Bunkern los. Es gibt diese Bauform aber auch in etwas größer, in den Berg getriebene Bunker oder halb-tonnenförmige Bunker die einige hunderte Menschen beherbergen könnten.

Hatte ich in Montenegro schon ein paar vereinzelte Moscheen gesehen, so waren diese in Albanien gefühlt überall zu finden. Doch Albanien ist kein rein muslimisches Land, genauso häufig finden sich auch römisch-katholische Kirchen und im Süden des Landes orthodoxe Kirchen. Oft lassen sich die Kirchen der verschiedenen Religionen auch gemeinsam auf einem Bild ablichten – Christen und Muslime leben ohne Rivalität friedlich miteinander. Ein stündliches Läuten der Glocken wie ich es aus Deutschland kenne, konnte ich nicht beobachten. Lediglich zu ein paar wenigen festgelegten Zeiten am Tag ertönt das Geläut der Kirchenglocken. Häufiger war der Ruf des Muezzins aus den an den Moscheen angebrachten Lautsprechern zu vernehmen – eine für mich auch recht neue Erfahrung.

Es gibt überall neue sakrale Bauten.

Ebenfalls überall im ganzen Land zu finden ist der Mercedes. Er gilt als die Automarke schlecht hin. Ganz egal wie alt das Fahrzeug auch sein mag – die Albaner fahren unglaublich gern Mercedes. Autos scheinen in diesem Land noch viel mehr als Statussymbol als bei uns zu gelten, denn in urbanen Regionen gibt es unglaublich viele Waschanlagen für Fahrzeuge – sowohl selbstservice oder auch mit Reinigungspersonal. Es ist tatsächlich des öfteren möglich von einem Standpunkt auf der Straße aus fünf oder sechs verschiedene Waschanlagen in unmittelbarer Nähe zu erspähen – wer was auf sein Fahrzeug hält, scheint es also regelmäßig zu putzen. Im Kontrast dazu gibt es aber auch genügend abgefrackte, dreckige Fahrzeuge. Man kann viele Fahrzeuge mit deutscher Reklame drauf finden. Ständig kommt ein scheinbarer Klempner, Fensterbauer oder Gemüsehändler um die Ecke gefahren. Es ist also auch ein Land in dem unsere ganzen Gebrauchtwagen landen. Einen Grund die Reklame zu entfernen oder zu überstreichen gibt es nicht, erstens kostet das nur nicht vorhandenes Geld und zweitens kann dort eh kaum einer Deutsch. Dafür sprechen viele Albaner Italienisch, viele meiner Bekanntschaften versuchten es in Ermangelung von Englisch auf Italienisch, womit ich nun wiederum nicht dienen konnte.

Der gute Mercedes ist selbst in den engsten Gassen anzutreffen.

Die Albanische Sprache ist dagegen nochmal eine Nummer für sich. Lange und komplizierte Wörter für das was im Deutschen oder Englischen recht flink über die Lippen geht. „Përshëndetje“ ist ein einfaches „Hallo“, „faleminderit“ ein „Danke“. Man kann sich aber dran gewöhnen, das Ungarische fiel mir im Vergleich dazu noch ein bisschen schwerer. Interessant ist, dass Albanisch so ein komplett eigenes Ding ist und scheinbar nichts mit den slawischen Sprachen des Balkans wie Serbisch, Bosnisch, Kroatisch oder Montenegrinisch gemein hat.

Hatte ich in Shkodër nur einen Pferdekarren zu Gesicht bekommen, so gab es diese viel öfter auf dem Land. Oder Eselskarren. Meist wurden diese von alten Männern gefahren. Es war schon ein witziges Gefühl mit dem Fahrrad ständig das Transportmittel dieser Leute zu überholen, sonst werde ja eher ich überholt. Klar sind die Karren im Gegensatz zu PKWs, Transportern und LKWs längst in der Unterzahl, aber sie sind halt trotzdem immer wieder anzutreffen. Genauso aus der Zeit gefallen erschienen mir die ganzen Hirten. Überall im Land gibt es Hirten. Schafhirten, Ziegenhirten und Truthanhirten. Und das sind keineswegs nur alte Menschen, oft standen hier auch junge Leute auf den Weideflächen und scheuchten Truthähne oder Ziegen durch die Gegend. In entlegeneren Gegenden traf ich auch öfter mal auf alte Mütterchen welche einfach nur zwei, drei Ziegen auf der Straße hüteten. Oder Menschen die Holz, Stroh oder die Ernte vom Feld in riesigen Kiepen auf ihrem Rücken irgendwo hin schleppten.

Neben der Viehwirtschaft gab es auch in Albanien wieder viele Olivenhaine, je entlegener die Gegend, desto mächtiger waren die Stämme. Ich schätze dass einige der Bäume garantiert weit älter als tausend Jahre sind. Oft gab es in Oliven-Regionen auch jede Menge von Bienenstöcken. Teilweise waren ganze Hänge mit Bienenstöcken bestückt – zu schade dass der Honig immer nur in großen Gefäßen erhältlich war, zu voluminös für die Fahrradküche.

Olivenhaine in den albanischen Bergen.

Was die Lebensmittelversorgung an geht, so gibt es gerade in den ländlichen Gegenden nur spärlich Geschäfte und wenn dann sind diese sehr klein und eher karg ausgestattet. In Städten gibt es auch mal kleinere Supermärkte, dominierend sind aber kleine Lebensmittelgeschäfte mit einem begrenzten Angebot. Wo ein Lebensmittelgeschäft ist, findet sich meist in der Nähe auch eine Bäckerei und zwei oder drei Obst- und Gemüsestände. Letztere stehen auch des öfteren mal an der Straße. Die Qualität war dort meistens ziemlich gut. Restaurants gibt es natürlich auch jede Menge in den Städten aber noch viel mehr Cafés. Die Cafés waren auch immer gut besucht, meist saßen dort ein paar Männer und redeten miteinander. Als Kaffee gab es übrigens immer Espresso. Oft für umgerechnet weniger als fünfzig Cent – ihr könnt euch sicher vorstellen, dass ich einige Cafés besuchte. Allgemein waren die Lebensmittelpreise und die Preise für eine Unterkunft im Vergleich zu den bisher besuchten Ländern spottbillig.

Typische Lebensmittelstände in Albanien.

Ein kleines Fazit

Ganz egal wo man sich in dem Land befindet, überall sieht man heruntergekommene Dinge. Viele Menschen gehen einem sehr mühseligen Arbeitsstil nach und das nicht weil es gerade Trend ist, sondern weil sie müssen. Gerade auf dem Land sieht man vielen der Menschen die harte Arbeit an, sie sind gezeichnet von tiefen Falten, von jahrelanger harter Arbeit. In den Städten gibt es zahlreiche Geschäfte wo ich mich immer wieder gefragt habe, wie man davon überleben kann. Zum Beispiel war gleich bei meiner Unterkunft in Berat ein Geschäft für Gaskartuschen, Gaskocher und Gasheizgeräte. Ich habe in den sechs Tagen die ich dort war keinen einzigen Kunden in dem Geschäft gesehen. Unweit davon gab es zwei weitere Läden mit dem gleichen Angebot. Es fällt mir schwer zu verstehen wie das alles funktioniert. Was der Ausspruch „Albanien ist das Armenhaus von Europa“ ganz konkret bedeutet, konnte ich nun viel besser begreifen. Und ich habe einen heiden Respekt vor den Albanern, die mir immer freundlich und hilfsbereit begegnet sind.


Reisezeit: November/Dezember 2021

Kommentare

2 Antworten zu „Albanien – ein Kulturschock“

  1. Benutzer Icon
    das Schaf

    Wenn ich die Bilder dazu nicht sehen würde, könnte ich denken, du beschreibst Togo (abgesehen von den Oliven). Es ist wirklich spannend zu realisieren, wie viel Armut doch auch noch in unserer Nähe existiert (und dass man in Deutschland auch nur wenige Chancen hat..)
    Danke für den Beitrag.

    1. Benutzer Icon

      Ja wirklich weit muss man nicht reisen um krasse Armut zu sehen, noch nicht mal bis Albanien.

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