Auf den Spuren der Phryger zu den heutigen Bewohnern Anatoliens

Dem Verkehrschaos in Istanbul war ich einfach mit der Fähre nach Yalova entwichen. Das Wetter hatte sich endlich auf Frühling umgestellt – in Radtrikot und kurzen Hosen rollte es sich gleich viel angenehmer als dick eingepackt. Beste Bedingungen also endlich das Land so richtig zu entdecken. Türkei – entfalte deine Zauberkraft!

Es wird endlich Frühling!

Auf den ersten Kilometern ging es zwar noch auf einer der anstrengenden Hauptverkehrsstraßen entlang, doch schon recht zügig konnte ich auf schmaleren Straßen ein Stück direkt an der Küste entlang radeln und dort auch einen schönen Platz fürs Zelt finden. In den Dörfern saßen die Menschen direkt an der Küstenpromenade, aßen gemeinsam und genossen so wie ich die lang ersehnten Sonnenstrahlen. Immer wieder wunk man mir freundlich zu, jede Menge Autofahrer zeigten ihre Zuneigung per Hupe. In den nächsten Tagen ging es immer öfter auf kleinen Straßen weiter hinein nach Anatolien, natürlich nicht ohne zahlreiche Höhenmeter zu erkurbeln. Je kleiner die Dörfer wurden, desto öfter hieß es anhalten und mit Fuß-/Händisch sowie ein paar rudimentären Brocken Türkisch Bekanntschaften zu schließen, Lächeln auszutauschen, Hallo zu sagen. Hier und da lagen noch ein paar Krümel Schnee herum, dazwischen legten aber schon fleißig die Frühblüher los.

Dann war da auch noch die Magie der Radreise-Community. Über verschlungene Wege hatte ich Tuğba kennengelernt, eine Radreisende die sich schon ein ganzes Stückchen der Welt erradelt hat. Sie schickte mir einige Tipps, was in der Türkei recht sehenswert sein sollte – eine erste Grundlage für meine Türkei-Route. Die erste Station sollte das Tal der Phryger werden. Auf dem Weg dahin lag Eskişehir, eine Universitätsstadt in Anatolien. Über Warmshowers fand ich dort zu Mustafa, der mich sehr herzlich bei sich willkommen hieß. Mustafa kümmerte sich wirklich hinreißend um mich, unter anderem besuchten wir zum Beispiel seien Freund Mehmet, um mir eine perfekte Route durch das Tal der Phryger zu planen. Es gab von ihm aber auch noch jede Menge weiterer Reisetipps, so dass die Route für die Türkei so langsam Gestalt an nahm. Vielen Dank Tuğba und Mustafa!

Karge weite hügelige Landschaft.

Eigentlich wollte mich Mustafa länger als eine Nacht hosten, der lokale Fahrradclub hatte zum Beispiel eine Ausfahrt für den übernächsten Tag angesetzt, doch nach der Pause in Istanbul hatte ich Hummeln im Hintern. So ging es also gleich weiter in das Tal der Phryger. Es war Samstag und verdammt windig, die Landschaft außerhalb von Eskişehir hügelig und eher karg, so dass der Wind beste Chancen hatte mich zu ärgern. Doch keine Spur von schlechter Laune. Ich fand am Ende einen etwas windgeschützen Platz hinter ein paar Büschen mitten im Nirgendwo, fernab der großen Straßen. Verdammt fühlte sich das gut an.

Am nächsten Morgen wehte der Wind allerdings noch viel stärker. Nach nur einem Kilometer hieß es absteigen und schieben. Es wehte so stark von der Seite, dass ich mich kaum noch auf dem Rad halten konnte. Bei den paar Bäumen die da an der Straße standen, gab es einigen Windbruch der auf selbiger verteilt war. Ich schob das Tier drei Kilometer ins nächste Dorf, das nur aus ein paar wenigen Häusern bestand. Überall sah ich Traktoren, Hühner, vom Zerfall ergriffene Häuser und ehrlich gesagt ziemlich ärmliche Zustände. Ich stellte das Tier vor einer Teestube ab und ging herein. Dort saßen nur Männer – in einem erstem Raum saßen die Jüngeren und quarzten ordentlich, im zweiten großen Raum saßen die Alten. In der Mitte stand ein Holzofen, in einer Ecke war der Tresen, auf einem Tisch befanden sich zahlreiche Sätze mit Okey-Spielen. Ich setze mich an einen freien Tisch und bekam sogleich einen Cay serviert. Es dauerte nicht lange und diverse Männer kamen und tranken gemeinsam mit mir einen Tee nach dem anderen. Aber so richtig klappte es mit der Kommunikation noch nicht – vernünftigen Empfang für Google Translate gab es nicht. Wenig später kam ein weiterer Herr herein und direkt auf mich zu. Es hatte sich schon längst rumgesprochen, dass ein Deutscher im Dorf ist. Er stellte sich als Mustafa vor und fragte mich auf Englisch wie es mir geht. Wuhu, Englisch! Wenige Minuten später reichte er mir dann seinen Neffen am Telefon, der in Ankara wohnte und nun als Übersetzer half. Ich erklärte, dass ich auf der Suche nach einem windgeschützten Platz für mein Zelt bin und sonst nichts weiteres brauche, heute aber wegen des heftigen Windes nicht weiter fahren kann.

Und dann passierte er wieder – der türkische Zauber der unglaublichen Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Denn wenige Minuten später war ich bei Mustafa, dem Polizisten und Hobby-Jäger daheim. Bekam eine Haus- und Hofführung; ein zweites Frühstück, gegen dass ich mich nicht wehren konnte; eine Darbietung auf der Langhalslaute und danach ging es schon mit seinem Allrad-Wagen raus aus dem Dorf. Irgendwo wollte er hin und mir etwas zeigen. Wir kamen irgendwo im Nirgendwo an und er deute auf einen Berg wo ich hinauf gehen und mir etwas anschauen sollte. Er wollte am Wagen warten, drückte mir eine Flasche Wasser in die Hand, holte einen Revolver aus dem Handschuhfach und fragte mich ob ich den auch mitnehmen wolle. Was? Wozu? Nein! Das war irgendwie ziemlich skurril. Ich wanderte dann ohne Revolver in die Richtung die er mir gedeutet hatte, kam immer höher und höher, schlug mich durch das Gebüsch, fand aber irgendwie nichts. Frustriert kehrte ich um, bis ich zufällig an ein paar Höhlen vorbei kam. Ahhh, das gab es also anzuschauen. Hier gab es offensichtlich eine menschengemachte Höhle neben der anderen. Es waren alles kleine würfelförmige Räume, wobei eine Seite der Eingang war und zu den anderen drei Seiten in der Waagerechten kleine quaderförmige Kammern abgingen. Alles sehr klein gehalten. Es handelte sich hierbei um alte Felsengräber der Phryger. Ich war also schon mitten drin im ehemaligen Reich der Phryger.

Felsengräber der Phryger.

Wieder zurück bei Mustafa am Auto versuchte er mir noch etwas zu erklären, doch unser beider Sprachkenntnisse brachten uns leider nicht weiter. Empfang gab es hier draußen gar nicht. Nach diesem Abstecher ging es nun zurück ins Dorf, diesmal in eine andere Teestube. Wir nahmen Platz, ich wurde vorgestellt und Mustafa ließ den selbst mitgebrachten Nescafe mit heißem Wasser zubereiten. Im Anschluss ging es wieder zurück zu ihm nach Hause. Nachdem einer Unterhaltung mit seiner Mutter (sie muss schon ziemlich alt gewesen sein), reichte er mir wieder das Telefon mit seinem Neffen. Von ihm erfuhr ich, dass Mustafa ziemlich traurig war aber er konnte mich nicht weiter hosten, da er noch mal auf Arbeit musste und sich seine Mutter mit mir allein nicht wohl fühlte. Ich bedankte mich trotzdem vielmals bei ihm für seine Gastfreundschaft, das Essen und die ganzen Aktionen der letzten Stunden und schwang mich wieder auf das Tier. Der Wind blies mittlerweile nicht mehr ganz so heftig und so kam ich noch ein paar Kilometer bis hinter das nächste Dorf. Auch dort wurde ich ziemlich erstaunt von den älteren Herren vor der dortigen Teestube angeschaut, Radreisende kamen hier wohl nicht so oft vorbei.

Am folgenden Tag ging der Wind nur noch leicht und es konnte in Richtung Midas-Stadt weiter gehen. Schon von weitem sah ich ein paar spektakuläre Felsformationen aus der Ebene heraus ragen. Je näher ich kam, desto mehr Details der Felsen waren zu erkennen, gespickt mit Bäumen und Sträuchern sah das schon ziemlich beeindruckend in der sonst eher kargen Landschaft aus. Und dann schienen da auch noch überall Höhlen zu sein. Als es dann über einen Hügel hinüber ging tauchte auf einmal ein riesiges Monument an einer der Felswände oberhalb eines Dorfes auf. Hier war ich also im Dorf Yazilikaya angekommen, oberhalb dessen die ehemalige Phryger-Stadt Midas lag.

Es geht nach Midas Stadt.

Die Phryger waren ein indogermanisches Volk, das im 8. Jahrhundert v. Chr. oder möglicherweise auch schon eher über ein großes Reich in Anatolien verfügte. Midas-Stadt ist eine Ruinen Stadt aus diesem Reich. Zu sehen gibt es dort so einiges: Das äußerst imposante Midas-Monument (Midas-Grab); ein unfertiges Monument; mehrere begehbare Zisternen; einen Felsen im Aussehen eines Schweizer Käses – dessen zahlreiche Höhlen als Lager-, Wohn- oder auch Grabräumlichkeiten dienten; viele weitere Höhlen sowie einen Altar. In den Felswänden der näheren Umgebung von Midas-Stadt sah ich noch unzählige andere menschengemachte Höhlen und ein Felsenmonument.

Während der Besichtigung war ich fast allein unterwegs. Bei meiner Ankunft stand ein Fahrzeug Bulgarischen Kennzeichens auf dem Parkplatz, welches wenig später verschwunden war. Irgendwann kam mir ein sich auf deutsch unterhaltendes Pärchen entgegen. Es stellte sich heraus, dass er ursprünglich aus einem der Dörfer in dieser Gegend stammte, schon aber seit einigen Jahrzehnten in Deutschland lebte. Nun war er mit seiner Partnerin zu Besuch. So verärgert er über die nicht stattfindende archäologisch-historische Aufarbeitung dieses Ortes war, so froh war ich hier doch in einer recht ruhigen Gegend unterwegs zu sein.

Die Ruinen von Midas Stadt.

Von Midas ging es weiter nach Han, dort sollte es eine ehemalige Untergrund-Höhlenstadt geben. Nachdem trotz Navi nichts davon zu finden war, machte ich mal wieder an einer Teestube halt. Der junge Türke welcher den Laden schmiss konnte allerdings weder Englisch noch mir irgendwie anderweitig weiterhelfen, trotz mehrerer Versuche mit Google Translate. Am Ende deutete er auf ein Gebäude gegenüber des Platzes. Ich versuchte also dort mein Glück, trat hinein und wurde letztendlich in ein Büro weiter geleitet in dem zwei Anzug tragende Herren saßen. Einer davon wendete sich mir zu, sprach etwas Englisch und verstand schließlich was ich wollte. Ein paar Minuten später saß ich in einem Polizeiwagen und wurde von einem Polizisten zur Untergrundstadt gefahren. Der Polizist führte mich anschließend durch die Reste der Höhlenstadt, wovon ein Gang sogar mit Lampen ausgeleuchtet war. Mittels Übersetzungs-App erklärte er, dass es wohl mehrere Ebenen gebe und das Höhlen- sowie Gängesystem auch noch viel weitverzweigter unter die heutige Stadt reiche. Leider ist dies jedoch nicht erschlossen und kann somit nicht besichtigt werden. Die paar Gänge und Höhlen die es zu sehen gab waren aber schon ziemlich spannend. Es gab Vorratsräume zu betrachten, größere Säle und auch einige Grabkammern. Wir waren schon wieder im Gehen als auf einmal das Pärchen, welches ich zuvor in Midas-Stadt getroffen hatte, auftauchte. Sie waren etwas erstaunt, wie ich an die Polizei-Führung gekommen war und wir unterhielten uns noch ein paar Minuten. Wieder zurück an der vermeintlichen Gemeindeverwaltung bedankte ich mich vielmals und machte mich auf Campspot-Suche etwas außerhalb der Stadt.

Ein Stückchen der Untergrund-Stadt von Han.

Den nächsten Tage hieß es einige Höhenmeter zu erklimmen, um irgendwann schließlich in der Großstadt Afyon anzukommen. In und bei den Dörfern durch die dabei es unterwegs ging sah ich immer wieder Felsformationen in die Höhlen geschlagen waren. Teilweise waren auch hölzerne Tore angebracht, offensichtlich werden einige der Höhlen heute noch für die Tierhaltung genutzt. In einer Stadt befand sich in der Mitte ein riesiger Fels in den ebenso Höhlen gehauen waren. Die heutigen modernen Häuser waren direkt an den Fels heran gebaut, so dass die Höhlenstrukturen scheinbar gleich mit genutzt wurden.

Symbiose aus aktuell genutzten Gebäuden und alten menschgemachten Höhlen.

Mit etwas mehr Zeit hätte es bestimmt noch jede Menge mehr zu entdecken gegeben. Doch bei der riesigen Größe der Türkei und dem begrenzten 90-Tage-Visum entschied ich mich weiter zu radeln. Das Phryger-Tal hat auf jeden Fall sehr viel mit Kappadokien gemeinsam. Die Höhlen sind auch hier in weiches Tuff-Gestein gehauen, viele der Felsformationen sehen so aus wie die in Kappadokien. Es fehlen lediglich die Touristen-Massen sowie die zugehörige Infrastruktur – nicht unbedingt tragisch.

Was für ein paar spannende und verrückte Tage. Über die Idee ein paar Ruinen der Phryger zu besuchen kam ich mit so vielen Menschen in Kontakt, erlebte so viel Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft – ein großartiger Ausflug in die türkische Kultur und zu den Einheimischen!


Reisezeit: April 2022

Quellen für die Infos zu den Phrygern:

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